Bei der Fachtagung „Kindheit und Jugend im Krieg – Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen“ am 21. September 2022 (im Übrigen auch der „Internationale Tag des Friedens„) kamen Expert*innen und betroffene Geflüchtete ins Gespräch. Es zeigte sich, wie wichtig es ist, sich gerade auch um die jungen Leute zu kümmern, Trau­mata zu bearbeiten, Perspektiven zu bieten und insgesamt Demokratie zu stärken. Rund 80 Gäste nahmen an der von Rumi imPuls e.V., KUBI und biku organisierten Veranstaltung teil, die das Amt für multikulturelle Angelegenheiten der Stadt Frankfurt gefördert hat. Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg übernahm die Schirmherrschaft.

Es war bewegend, wie der junge Mahdi die Flucht mit seiner Familie – seinen Eltern und seinen noch jüngeren Geschwistern – aus Afghanistan über die Balkanroute nach Deutschland beschrieb. Welche Ängste, welche Entbehrungen, welche Unsicherheit. Eine Flucht vor Krieg und Terror ist zugleich auch eine Flucht ins Ungewisse. Hier angekommen sind sie in Sicherheit vor Krieg (und das ist viel wert). Doch der Weg in eine gute Zukunft und zu Gleichbe­rechtigung und Akzeptanz in der Gesellschaft ist leider noch immer weit. Das berichteten auch andere Geflüchtete aus Afghanistan, Syrien und anderen Ländern bei der Veranstaltung, die darum ringen, in Deutschland nicht nur vorübergehend gestattet, sondern dauerhaft willkommen und respektiert zu sein. Die starke Solidarität, die den ukrainischen Geflüchteten derzeit entge­gengebracht wird, sollten alle Geflüchteten gleichermaßen verdient haben.

Keine Zwei-Klassen-Geflüchtete

Hierauf verwies auch Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg in ihrem Grußwort. Es dürfe keine Zwei-Klassen-Geflüchtete geben. Alle Menschen seien gleich viel Wert. Dies versuche Frankfurt auch immer wieder zu vermitteln: Eine Stadt, in der alle zuhause sein können und die aktuell mehr Geflüchtete unterbringe als zuletzt im Jahr 2015. Mit Verweis auf die Paulskirche als Wiege der Demokratie warb sie auch dafür, demokratische Werte zu stärken. In der Demokratie können Menschen ihre Anliegen vortragen, ohne Gefahr zu laufen, dafür bestraft zu werden. In autoritären Systemen geht ge­nau das nicht. Sie selbst ist in den 80er Jahren vor dem Regime in Iran geflo­hen, weiß also, was die Geflüchteten heute durchmachen, und hat aktuell als Dezernentin das Thema „Antidiskriminierung“ mit der Gründung einer dafür zuständigen Stabstelle zu einem Schwerpunkt gemacht. 

Kriegspropaganda beginnt schon bei Kindern und Jugendlichen

Um die Vermittlung demokratischer Werte ging es ganz und gar nicht bei der Erziehung junger Menschen vor und während des Ersten Weltkriegs, wie der Historiker Prof. Dr. Eberhard Demm, Université Grenoble Alpes in Frankreich, ausführte. Propaganda fing bereits im Klassenzimmer an. Karikaturen, Lieder und Spiele, die Menschen anderer Länder zu Feinden machen – bis hin zur Verherrlichung von Gewalt: Es sei darum gegangen, Kinder bereits früh zu Disziplin und Gehorsam zu erziehen, nicht darum, sich eigene kritische Meinungen zu bilden. Lehrer indoktrinierten Kinder – und die wiederum trugen die Propaganda in ihre Familien. Was damals war, ist in Kriegsgesellschaften auch heute aktuell.

Traumata sind vielfältig, doch es hapert an ihrer Bearbeitung

Sowohl im Krieg selbst, als auch auf der Flucht: Geflüchtete machen viele traumatische Erfahrungen, erklärte Dr. Marianne Rauwald, Leiterin des Instituts für Traumabearbeitung, Frankfurt. Sie weiß aus Erfahrung: Auch in Deutschland hört das nicht auf. Geflüchtete erleben die Unsicherheit der Asylverfahren, seien mit der Angst vor Abschiebung und auch mit Diskriminierungen konfrontiert.

Traumata ließen sich bearbeiten, insbesondere ein zeitnaher Therapiebeginn und ein sicheres Umfeld schützten vor einer Chronifizierung. Doch oft scheitere die Behandlung schon an praktischen Schwierigkeiten, wie etwa den Dolmetscher- oder Fahrtkosten zur therapeutischen Praxis. Wenn ein Trauma fortbestehe, können Betroffene nicht mit Erfahrungen abschließen und lernen, diese als etwas Vergangenes wahrzunehmen. Vielmehr komme es immer wieder zu neuen Angstreaktionen. Die Betroffenen bleiben auf einem hohen Erregungsniveau. Die Fähigkeit, tatsächliche Bedrohungen von alltäglichen Situationen unterscheiden zu können, sei stark beeinträchtigt. Selbstwertgefühl könne sich nicht entwickeln, das Vertrauen in andere Menschen bleibt beeinträchtigt. Das Erlebte zu „Geschichte“ zu machen und Vertrauen zu entwickeln sei zentral in der Therapie.

Vertrauen und Perspektiven bieten

Gelinge es nicht, Traumata zu behandeln, und kommen Diskriminierungserfahrungen hinzu, dann kann dies Radikalisierung befördern. Dr. Rauwald wies darauf hin, das extremistische Gruppierungen junge verunsicherte Menschen gerade mit all dem locken, was die Gesellschaft ihnen scheinbar nicht bieten könne: Halt, Freundschaft, Verständnis, Anerkennung. Wer einmal so in ihre Fänge gerät, ist manipulierbar. Es ist also immens wichtig, Menschen bestmöglich zu integrieren, ihnen Vertrauen zu geben und Perspektiven zu bieten. Genau hieran arbeiten die Beteiligten des Fachtags in ihren verschiedenen Projekten, wie die Geschäftsführerinnen Fatma Kinali (KUBI) und Hanifa Haqani (Rumi imPuls) betonten. 

„Radikalisierung der Geschlechterrollen“

Zwischen den Vorträgen kamen immer wieder teilnehmende Geflüchtete zu Wort, die über ihre Erfahrungen berichteten, auch darüber, wie es den Frauen und Mädchen unter den Taliban ergeht. Frauen sind weitgehend entrechtet; Mädchen werden um ihre Bildungs- und Entwicklungschancen gebracht. Die Rolle der Frauen und wie durch Krieg eine „Radikalisierung der Geschlechterrollen“ zu Tage trete, darauf ging Christine Weiß, Pädagogische Mitarbeiterin von Rumi imPuls, ein. Toxische Männlichkeit, also ein destruktives und ag­gressives Verhalten, und die Objektivierung von Frauen und Mädchen ver­stärkten sich demnach.

Mehr über das Projekt „Hand in Hand gegen religiös begründeten Extremismus“ von biku finden Sie hier.

Weitere Informationen:

rumi-impuls.de

www.institut-fuer-traumabearbeitung.de

www.amka.de

Fotos: KUBI gGmbH